ARTIKEL - DIE BARBAREN

Laut Statistik Österreich haben 17,5% der in Österreich lebenden Menschen einen Migrationshintergrund; in Wien sind es sogar 35,4% per Ende 2008. Mit ungefähr 200.000 in Österreich lebenden Menschen stellt die türkisch stämmige Bevölkerungsgruppe die zweitgrößte Zuwanderergruppe nach Ex-Jugoslavien dar. Fragt man nun den Mann auf der Straße, was er denn über die Türken wisse, bemerkt man, dass dieser sich sehr wohl dessen bewusst ist, dass diese Gruppe eine nicht zu vernachlässigende Größe aufweist, doch sehr viel mehr als die Türkenbelagerung, den Kaffee, das Kipferl und vielleicht die Magic Life Clubs ist meistens nicht zu erwarten. Woher kommt denn nun diese Unwissenheit? Ist es Ignoranz oder einfach Desinteresse? Es ist bemerkenswert, dass im Geschichtsunterricht in Österreich dem Thema „Türken“ bzw. „Osmanen“ höchstens zwei A4 Seiten zur Verfügung gestellt werden. Die Osmanen haben über 6 Jahrhunderte das Weltgeschehen entscheidend mit beeinflusst. Alleine von der Dauer des Bestehens aus gemessen, ist es vergleichbar mit dem Römischen Reich. Es ist wohl nicht notwendig über die durchaus üppige Präsenz des zweiten Themas im Österreichischen Unterricht zu berichten. Leider kommt noch hinzu dass, man sich in diesen zwei A4 Seiten meistens nur den zwei Türkenbelagerungen durch die „Barbaren“ und dem Kaffee, den sie in Wien vergessen haben, widmet. Also ist es nicht weiter erstaunlich, dass das Wissen des Mannes auf der Strasse nur bis zu diesen „harten Fakten“ gelangt. Kombiniert mit Hassparolen von Politikern der Gegenwart, die nicht nur die „Türken“ sondern auch deren Religion, den Islam, als Material für Ihre Wahlkampagnen verwenden, werden Vorurteile, Ängste und Ignoranz weiter geschürt.

Cogito ergo sum – Ich denke also bin ich! Bevor man sich eine Meinung bildet, sollte man sich zuerst Wissen aneignen. Bildung ist der Schlüssel zu den meisten, von Menschen geschaffenen, Problemen.

Die Türken stammen ursprünglich aus den Steppen in Zentralasien. Die Gesamtheit der Angehörigen der Türkvölker wird heute auf ca. 150 Millionen Menschen geschätzt. Auf der Welt werden 4000 Sprachen gesprochen. Türkisch ist an der siebenten Stelle der am meisten gesprochenen Sprachen der Welt. Die Geschichte der Türken beginnt nicht mit den Osmanen. Geschichtliche Quellen beweisen, dass die Türken zu den ältesten Völkern auf der Erde gehören. Das Auftreten der ersten türkischen Stämme und die Gründung des ersten türkischen Reiches im 4. und 5. Jahrhundert vor Christus beweist, dass das türkische Volk seit 2500 Jahren in der Geschichte präsent ist. Seit der frühen Geschichte bis heute ins 21. Jahrhundert wurden viele türkische Imperien gegründet. Das sogenannte erste türkische Reich wurde im 4. Jahrhundert v. Chr. von den Skythen gegründet. Der letzte türkische Staat, der gegründet wurde, ist die Türkische Republik Nordzypern.

Bevor die Türken den Islam als Religion anerkannten, bekannten sie sich zum Schamanismus. Dieser Religion zufolge galten der Himmel und die Sonne (die Quellen des Lebens), als Frau, die Erde und der Mond als der Mann. Verschiedene Gottheiten wurden von Frauen verkörpert. Ziya Gökalp, einer der bedeutendsten türkischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts zufolge, waren die Türken in allen Phasen ihrer Geschichte stets demokratisch in Bezug auf die Verhältnisse zwischen Mann und Frau. Durch den Einfluss des Schamanismus hatte die Frau einen wichtigen Stellenwert. Die beiden Geschlechter waren einander gleichgestellt und konnten somit Befugnisse und Entscheidungen nur zusammen ausführen.

Anfangs traten die Türken dem Islam nur vereinzelt bei. Ab dem 7. Jahrhunder jedoch ging die Zahl der türkischen Muslime drastisch in die Höhe. Als die Osmanen mehr und mehr in den Einfluss der Araber, Perser und der Byzantiner kamen, nahm der Status der türkischen Frau immer mehr und mehr ab. Nachdem die Türken zum Islam übergetreten waren, wurden auch automatische viele Traditionen und Ansichten der Araber und Perser mit übernommen. Eines dieser Einflüsse war es, dass Frauen und Männer nicht gleichberechtigt waren. Zu dieser Zeit sah man in diesem Kulturkreis Frauen als minderwertig gegenüber den Männern an. Diese Ansichten hatten zur Folge, dass die türkische Frau, die in ihrer Geschichte durchwegs einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert hatte, nun einen Großteil ihrer Rechte und ihres Ansehens verlor. Der Grund für diesen Rückgang des Status der Frau ist aber nicht im Islam begründet. Vielmehr wurde dieser falsch interpretiert und umgesetzt.

Aufgrund der zahlreichen Reformen des türkischen Staatsgründers Mustafa Kemal ATATÜRK wurde der türkischen Frau wieder neue Rechte gewährt. Im Zuge der neuen bürgerlichen Gesetzgebung wurde die Frau endgültig dem Mann gleichgestellt. Somit wurde es den Frauen ermöglicht in den öffentlichen Dienst zu treten. Weiters wurde ihnen das aktive und passive Wahlrecht zuerkannt. Die von Mustafa Kemal ATATÜRK eingeleiteten Schritte zur Frauenemanzipation, die in einer Neuordnung des ehelichen Scheidungsrechts,
in dem Verbot der Doppelehe, in der Förderung einer höheren Schulbildung und Universitätszugang auch für Mädchen und Frauen zum Ausdruck kam, führten zu einer vollkommenen Umwälzung gesellschaftlicher
Strukturen.

Ohne Zweifel ist und war Mustafa Kemal ATATÜRK ein Vorbild für Völker und Nationen, die um ihre Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen. Gleichermaßen sollte ATATÜRK auch als Vorbild im Kampf um die Gleichberechtigung der Frau angesehen werden. In der Menschheitsgeschichte gab es keinen Politiker, der sich so vehement für die Rechte der Frauen einsetzte wie er.

Süreyya Ateş-Genç